Beziehungsformen die Vierte.
Heute: „Polyamorie“
Für mich persönlich ist Polyamorie die bevorzugte aller Beziehungsforme… allerdings, das muß ich dazu sagen, eher theoretisch: ich bevorzuge diese Idee vor allen anderen. Die Praxis dieser Beziehungsform ist die schwierigste (was ja aber nicht gegen die Idee spricht). Zur Praxis später mehr…
Als Polyamorie wird eine Beziehung zwischen mehreren Beteiligten bezeichnet, in der alle Beteiligten voneinander wissen, mindestens zum Teil auch miteinander in direkter emotionaler und/oder sexueller Beziehung stehen.
Polyamorie kann man also zumindest schonmal abgrenzen gegenüber Seitenspüngen, Swingern, „Don’t ask, don’t tell“-Beziehungen…
Polyamorie ist ein Beziehungsnetzwerk.
Unbegrenzte Liebe
Liebe begrenzt sich nicht, das ist die Grundidee hinter der Polyamorie. Liebe ist per se transpersonell (überpersönlich; das, was ich mit dem individuellen Partner erlebe ist eine Beziehung, in der Liebe da ist/sein kann. Wenn ich Liebe (er)lebe, dann ist das mein Erleben und ich kann dies im Prinzip mit jedem .. Menschen… und wenn ich jemanden besonders gerne mag, dann besonders gerne auch mit dem/derjenigen. Und warum sollte ich die Liebe künstlich begrenzen?
So lauten meist die ersten Statements von Polyamoriebefürwortern. Das vor allem, wenn die Entdeckung ganz frisch ist, dass da im eigenen Herz noch Beziehungswünsche zu einem weiteren oder mehreren Partnerinnen sind, und dass es tatsächlich möglich ist, dies auch zu leben.
Der von ob ihres Alters angeblich weiseren Mitmenschen geäußerte Rat-Schlag, man werde schon sehen, was dabei herauskommt, deutet auf deren schlechte Erfahrungen hin. Entweder haben sie schon selbst mehrere Partner gleichzeitig geliebt und sind an gesellschaftlichen oder ihren eigenen inneren Strukturen gescheitert, oder an denen der Partnerinnen.
Polyamore Lebensweise ist wahrscheinlich seit Jahrtausenden, ach: seit jeher üblich, aber zumindest in der partriachalen Phase doch sehr in Verruf geraten. Immer noch wird Besitzdenken, Verlustangst und Selbstbeschränkung als Liebesbeweis begriffen.
Darum wird gesagt, dass Polyamorie etwas ist für „Menschen mit Experimentierfreude und geistiger Flexibilität. Sehr mutige Menschen, die sich trauen, offen zu leben, was andere verheimlichen. Notwendig sind innere Reife und Stabilität.“
Wie das Denken und Fühlen in einer Polyamorie aussehen kann, liest Du in „Brief an die Frauen die mit meinem Mann schlafen“ von Wilrike.
Lieblingsproblem: **Eifersucht**
In Polybeziehungen kommen bei jedem der Beteiligten schnell die grundlegenden Beziehungsängste hoch: Beziehungsangst, Eifersucht, Neid… und auch die Tendenz, aus der Beziehung zu flüchten und dafür die Freiheiten der Beziehungsform zu nutzen.
Da dies so ist, kann Polyamorie nur funktionieren, wenn alle Beteiligten offen miteinander umgehen – also ihre Gefühle zeigen, und aber auch die Verantwortung für ihre eigenen Gefühle bei sich behalten.
(Merksatz: Deine Gefühle sind schon in Dir, bevor der andere / die Situation da ist. Wenn jemand oder eine Situation ein Gefühl in Dir auslöst, so ist es genau das: ein Auslöser. Schau Dir dann genau an, welche Gefühle (exakter: Emotion) ausgelöst werden und Du findest die Verletzung / Situation in Dir, die Du noch nicht geheilt hast und nun auf die Gegenwart/den Anderen / die Situation projizierst. Frage Dich bei jeder Äußerung, die Du in diesem Zusammenhang bringst: Stimmt das wirklich?)
In der öffentlichen Diskussion wird Polyamorie seit einigen Jahren immer präsenter – und auch ohne Häme betrachtet. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen strahlte im Juli 2013 eine Doku aus, die das Thema Polyamorie aufgreift. Der Ankündigungstext dazu zitiert die Protagonistin: „Ich liebe zwei Männer, ich habe Sehnsucht nach beiden, ich liebe sie beide aufrichtig, und ich denke, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen, auch wenn ich oft alleine mit dieser Einstellung stehe. Mir ist es völlig egal, was andere darüber denken.“
Die Doku erzählt eine kurze Sequenz aus dem Leben dieser Poly-Gemeinschaft, und läßt das „Ende“ offen, nachdem ein grundsätzlicher Wandlungsschritt mit der Kamera begleitet wird. Diesen Film von Birgit Wuthe und Linda Hofmeier könnt ihr evt hier ansehen: Menschen hautnah: Ich liebe beide Männer (WDR-Doku)
Hier noch ein Artikel aus 2013 (in Englisch) von einer Frau, die mit zwei Männern lebt und beschreibt, wie das ’normale‘ Familienleben bei ihnen aussieht: das Polyamore Leben stärkt ihre Beziehung zu jedem der beiden Partner und bringt Ausgeglichenheit und mehr Freude:
http://www.salon.com/2013/08/05/my_two_husbands/
Was Du tun kannst, um mit Deinen Beziehungen klar zu kommen ist: klar werden. Entwickle Selbstliebe, so dass Du Dein Selbstwertgefühl nicht (mehr) an einen anderen Menschen binden mußt. Wie das geht kannst Du zB in den Seminaren der Liebesschule und auch in den offenen Begegnungsabenden an praktischen kleinen Beispielen erleben.
Erweiterung dieses Artikels, den ich bereits 2013 schrieb, im Jahr 2017:
Persönliches Erleben von Polyamorie
Mein persönliches Erleben eines polyamoren Lebens ist ziemlich vielfältig. Ich habe bei mir viel Eifersucht erlebt und konnte sie lösen (das war eine große Erleichterung). Ich habe mehrere Beziehungspartner erlebt, die mich bekehren wollten, die zunächst auf die Polyamore Beziehung eingegangen sind, und dann doch mit der Zeit immer ‚monogamer‘ werden wollten, und dies am Ende sogar strikt forderten. Mein Darauf-eingehen war nicht sehr fruchtbar: letztlich ging es diesen Frauen immer um etwas anderes, meist um Macht und Einfluß.
Und ich erlebe wunderbare Beziehungen, die sich unglaublich frei anfühlen, mit sehr tiefgehender Verbindung zueinander, und der gegenseitigen Erlaubnis, das Leben wirklich zu lieben und deswegen auch andere Menschen. In diesen Beziehungen ist, neben Ehrlichkeit, das ‚Alles darf sein‘ das Wichtige. Wir wissen, dass Gefühle in uns ausgelöst werden und nicht „vom anderen gemacht“, und dass wir hier auf der Welt sind um ein freudvolles Leben zu führen. Darin unterstützen wir uns.
Weitere Infos zu Polyamorie:
Ein Video über Polyamorie, das trotz des Titels informativ ist (mit Christopher Gottwald):
Danke an Thomas L. aus der Schweiz für die Hinweise zum text und dem Video-Link!
Guten Tag, ich möchte mich gerne zum Thema Poyamorie (mit der ich in den wesentlichen Punkten übereinstimme) äußern. Ich hatte keine Eifersuchtsprobleme, wenn mein langjähriger Partner andere Frauen liebevoll begehrte, aber seit die neue Freundin fast alle Aufmerksamkeit einnimmt, ist es fast unmöglich weiterhin die als so eng empfundene Verbindung aufrecht zu erhalten und sei es als gleichwertiges Mitglied einer Dreiecksbeziehung (ich bin bisexuell). Ich lebe fast ständig in unerfüllter Sehnsucht und das beschädigt mein Selbst. Der Grundgedanke, das alle mit gleichem Respekt und gleicher Zeit behandelt werden sollten, erweist sich als pure Illusion. Ja, ich höre, dass er mich liebt. 10% Liebe bekommen ist allerdings einfach nicht genug wenn man selbst 100% Liebe geben möchte. Ich überlege jetzt ganz aus dem Kontakt zu gehen, auch wenn mir das Herz bricht. Wie gehen andere polyamore Menschen damit um?
Hallo Einhorn ;),
danke für Deinen Kommentar.
Polyamorie funktioniert nur wenn alle Beteiligten miteinander kommunizieren und diese Beziehungsform tatsächlich wollen. Sobald ein/e Beteiligte/r exklusive Ansprüche durchsetzen will fliegt das Konstrukt auseinander. Das ist sicher ein Anspruch – und eine der Schwierigkeiten – für den ‚vielbegehrten‘ Part: er/sie muß darauf achten, dass tatsächlich ein Gleichgewicht besteht – und ob immer noch der Wunsch nach einem Gleichgewicht besteht. Hier zeigt sich recht schnell, ob das Polyamore nur ein „Übergang“ war (und damit nicht wirklich ernst gemeint) oder ob es eine Lebens-Beziehungsform für die Beteiligten ist.
Um Dich mit anderen Polys auszutauschen empfiehlt sich persönlicher Kontakt, zB über PolyStammtische.